INTERFERENCE TUNIS

Warm. Warm und trocken und staubig. Durst. Aber ein ganz anderer Durst als erwartet.

“Haben Sie keine Angst dorthin zu reisen?” “Angst?” “Nun ja, Sie wissen schon.” “Ah! Nein. Wir pflegen eine gewisse Blauäugigkeit gegenüber schlechten Nachrichten – die Kunst will überall sein. Die Kunst gehört überall hin!” Ein arabisches Sprichwort, das mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, traf es dann später gut und lautet übersetzt ungefähr: “Wer Angst vor dem Sterben hat, stirbt an der Angst.”

RaumZeitPiraten-Khajál-INTERFERENCE-Tunis-2016-03

Die RaumZeitPiraten waren Teil von „INTERFERENCE“, dem ersten Lichtkunstfestival auf dem afrikanischen Kontinent. Vier Nächte aus Licht mit 12.000 interessierten Besuchern. Eine Erfahrung von ungewohnter Intensität. Unsere europäisch, medialen Scheuklappen fielen sehr bald den tunesischen Übergriffen aus Neugier, Offenheit und Freundlichkeit zum Opfer. Landwirtschaft und Tourismus waren treibende Kräfte, ihr Versiegen nun die vertreibende Kraft. Die Jugend will fort, der wache Geist will weiter – Durst. Da ist er, dieser andere Durst. Der Durst nach dem Anderen, der Durst nach der Welt, ihren Kulturen, ihren unendlichen Farben und Gesichtern, ihren unendlichen Geschichten. Der gleiche Durst, der sie ins Radikale stürzen lassen kann, wenn er mit fatalen Wassern gestillt wird. Revolution steht auf den bröckelnden Mauern und Wänden. Französisch wird hier spürbar gedacht, wer es wagt mit ihnen zu denken wird viel Europäisches erkennen, mit der Schönheit und der Weisheit der Wüste zusammengebracht.

RaumZeitPiraten-Khajál-INTERFERENCE-Tunis-2016-02

Khayál, ein Begriff der sich auf ein islamisches Konzept der kreativen Imagination und der Manifestation der Welt als Imagination bezieht. Khayál, unser partizipatives Kunstwerk für die Medina von Tunis. “Kommt mit uns! Taucht eure Stadt in euer Licht, in eure Schatten, in eure Bilder. Seid Licht, seid Schatten. Seid Kunst!” Es blieb nicht bei der Aufforderung, unbändige Neugier, unstillbarer Durst, der Wille sich zu öffnen, Teil des Experiments zu sein, überwältigten uns. Jeden Abend durchstreiften wir die verwirrend verwinkelten, labyrinthischen Gassen und Gässchen der Medina mit unseren LichtAngeln, tragbaren, batteriebetriebenen Projektoren, die es dem Benutzer erlauben alle möglichen und unmöglichen Fundstücke vom Wegrand in  Kollektivschattenspiele zu verwandeln. Bekannter Stadtraum, von seinen Bewohnern uminterpretiert, transformiert, revolutioniert. Die Stadt und ihre Architektur wird formbar, wird Projektionsfläche und soziales Konstrukt, wird Möglichkeitsraum, auszulotendes Wir-Gefühl. Unser gemeinschaftlicher, schöpferischer Durst, unser Durst nach schöpferischer Gemeinschaft die treibende Kraft. Wir sind nicht fremd, wir sind gemeinsam. Das Andere ist das Notwendige.

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